Rückenschmerz-Mythen entlarvt – Was stimmt wirklich?

Schmerz verstehen: Ein Blick ins Gehirn
Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten gesundheitlichen Beschwerden weltweit und sind eine der Hauptursachen für Arbeitsausfälle. Besonders lumbale (untere Rücken-)Schmerzen führen zu hohen Krankheitstagen. Interessanterweise sind jedoch 90-95 % der Fälle unspezifisch – das heißt, es gibt keine klare strukturelle Ursache. Nur ein geringer Teil lässt sich direkt auf spezifische Schäden oder Erkrankungen zurückführen. Lange Zeit dominierte das biomedizinische Modell, das Schmerzen als direktes Ergebnis von körperlichen Veränderungen betrachtete: Fehlhaltungen, verkürzte Muskeln, Beckenschiefstände, degenerative Prozesse oder verklebte Faszien wurden als Hauptursachen von Rückenschmerzen angesehen. Diese Annahme hat sich jedoch als zu einseitig herausgestellt.
Der Physiotherapeut ist Dozent Civan Inserra, mit Spezialisierung auf Sportphysiotherapie und Schmerzwissenschaft ist, hat viel zum Thema “Schmerz” zu berichten. In diesem Artikel teile ich seine spannenden Einblicke.

Civan erklärt dazu: „Das mechanistische Modell, nach dem jede körperliche Veränderung zwangsläufig zu Schmerzen führt, ist in der modernen Schmerzwissenschaft nicht haltbar. Es gibt viele Untersuchungen, in denen Menschen degenerative Veränderungen an der Bandscheibe oder den Facettengelenken zeigen – aber keinerlei Schmerzen haben.“ Ein Beispiel dafür sind Jetpiloten, die hohen Belastungen auf die Wirbelsäule ausgesetzt sind und degenerative Veränderungen aufweisen – aber dennoch oft schmerzfrei bleiben. Ebenso gibt es Patienten mit starken Schmerzen, bei denen keinerlei strukturelle Schäden nachweisbar sind.

Schmerz ist nicht gleich Schaden

Das moderne Bio-Psycho-Soziale Modell erklärt Schmerzen nicht nur durch biologische Faktoren, sondern berücksichtigt auch psychologische und soziale Aspekte. Die Wahrnehmung von Schmerz wird also stark davon beeinflusst, wie wir ihn bewerten und erleben. Ein drastisches Beispiel zeigt, wie Schmerz auch völlig ausbleiben kann: Bei bestimmten religiösen Praktiken (z. B. dem Nageln von Körperteilen) berichten Menschen davon, keine oder nur minimale Schmerzen zu empfinden. Dies verdeutlicht, wie stark psychologische und soziale Faktoren das Schmerzempfinden beeinflussen können. Studien legen nahe, dass solche Personen durch intensive Meditation, tief verwurzelten Glauben oder tranceartige Zustände eine veränderte Schmerzwahrnehmung entwickeln. Dies kann dazu führen, dass das Gehirn schmerzhemmende Mechanismen aktiviert und die Schmerzsignale effektiv unterdrückt. Ein ähnlicher Effekt ist bei Menschen zu beobachten, die sich in Extremsituationen befinden – etwa Soldaten im Kampf oder Unfallopfer, die erst später Schmerzen verspüren. Dieser Zusammenhang zeigt eindrucksvoll, dass Schmerz nicht nur eine physiologische Reaktion auf Gewebeschäden ist, sondern auch stark von Erwartungshaltung, Emotionen und kognitiven Prozessen beeinflusst wird. In der Schmerztherapie bedeutet das: Ein positives Mindset, gezielte Ablenkung und kognitive Techniken können helfen, Schmerzen aktiv zu regulieren und zu reduzieren.*

Die wichtigsten Erkenntnisse:

  • Großer Schmerz bedeutet nicht automatisch große Schädigung.

  • Strukturelle Veränderungen (z. B. Bandscheibenvorfälle) sind oft symptomlos.

  • Negative Erwartungshaltungen verstärken Schmerzen (z. B. Angst-Vermeidungsverhalten).

Die Rolle der Psychologie: Angst und Schmerz verstärken sich gegenseitig

Studien zeigen, dass die Erwartungshaltung eines Menschen seine Schmerzwahrnehmung erheblich beeinflusst. Patienten, denen vor einer Schmerzinduktion positive Bilder gezeigt wurden, empfanden weniger Schmerzen als jene mit negativen Bildern. Dieses Phänomen ist als Nocebo-Effekt bekannt: Wenn jemand erwartet, dass etwas schmerzt, verstärkt sich das tatsächliche Schmerzempfinden. Ein weiteres Beispiel ist die verstärkte Schmerzempfindung nach einer erschreckenden Diagnose, selbst wenn keine Verschlechterung der physischen Situation vorliegt. Das Gehirn verknüpft Angst mit Schmerz und erhöht dadurch die Sensibilität des Nervensystems. Deshalb ist die Kommunikation mit Patienten entscheidend: „Sät man Angst durch Aussagen wie „deine Bandscheibe ist kaputt“ oder „wenn du so weitermachst, wirst du chronische Schmerzen haben“, verstärkt das Schmerz und Bewegungseinschränkungen“, betont Civan. Statt angstvermittelnder Aussagen sollten Therapeuten eine positive, evidenzbasierte Kommunikation nutzen. Beispielsweise statt „Ihr Rücken ist instabil“ lieber: „Ihr Rücken ist stark und anpassungsfähig. Mit gezielten Übungen können wir die Belastbarkeit steigern.“ Studien zeigen, dass Patienten mit positiven Informationen über ihre Schmerzen weniger Angst haben und sich schneller erholen. Indem Therapeuten eine unterstützende und motivierende Sprache wählen, können sie Patienten helfen, ihre Schmerzen besser zu bewältigen und langfristig ihre Lebensqualität zu verbessern.

Physiotherapeuten sollten daher:

  • Positive Sprache verwenden (statt „Schäden“ eher von „Veränderungen“ sprechen).

  • Aufklärung betreiben: Schmerzen sind komplex und nicht nur strukturell bedingt.

  • Aktive Bewältigungsstrategien fördern, statt Patienten in Angst zu versetzen.

Manuelle Therapie: Einrenken und Ausrenken – ein Mythos?

Viele Menschen glauben, dass Gelenke oder Wirbel ausrenken und dann wieder eingerenkt werden müssten. Doch moderne Studien zeigen: Wirbel sind extrem stabile Strukturen – sie rutschen nicht einfach aus ihrer Position. Civan erklärt: „Manipulationen können zwar kurzfristig Schmerzen lindern, aber nicht durch das mechanische Verschieben von Gelenken, sondern weil sie das Nervensystem beeinflussen. Durch manuelle Therapie werden schmerzlindernde Bahnen aktiviert – das erklärt, warum Patienten nach einer Behandlung Erleichterung empfinden.“

Haltung und Schmerzen: Ist eine „schlechte Haltung“ wirklich schmerzhaft?

Eine verbreitete Annahme ist: Schlechte Haltung führt zu Rückenschmerzen. Doch wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen Haltung und Schmerzen. Selbst Menschen mit als „schlecht“ bewerteter Haltung können vollkommen schmerzfrei sein. Ein wichtiger Leitsatz lautet daher: The next posture is the best posture. Es geht weniger darum, eine perfekte Haltung zu haben, sondern sich regelmäßig zu bewegen und nicht zu lange in einer Position zu verharren. Ein besonders weit verbreiteter Mythos ist, dass das Heben mit rundem Rücken automatisch schädlich sei. Studien zeigen jedoch, dass selbst bei gebeugtem Rücken die Belastung auf die Bandscheiben nur minimal steigt – oft weit weniger als vermutet.

Was ist wirklich wichtig? Resilienz und Kraft aufbauen!

Anstatt sich auf starre Haltungskonzepte oder passive Behandlungen zu verlassen, sollte die Therapie darauf abzielen, den Körper zu stärken und die Schmerzresilienz zu erhöhen. Entscheidend sind:

  • Bewegung statt Schonung: Die Angst vor Bewegung verstärkt oft die Beschwerden.

  • Positives Mindset: Stress, Schlaf, Ernährung und psychische Faktoren beeinflussen den Schmerz stark.

  • Aufklärung: Patienten sollten verstehen, dass Schmerz nicht automatisch Schaden bedeutet.

Fazit: Ein modernes Verständnis für Rückenschmerzen

Die Schmerzwissenschaft hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Wir wissen heute, dass Rückenschmerzen nicht einfach mechanisch oder strukturell bedingt sind, sondern ein komplexes Zusammenspiel aus biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren. Physiotherapeuten spielen eine entscheidende Rolle dabei, alte Mythen zu entkräften und Patienten zu helfen, ihre Schmerzen besser zu verstehen. Denn Wissen ist der erste Schritt zur Heilung!

Hausbesuch in Österreich und Deutschland

Ja, das waren gute Tipps, die Civan den Therapeuten und unseren Patienten hier mit auf den Weg gibt. Er und die vielen anderen Therapeuten/-innen an unseren zahlreichen Standorten in Österreich und Deutschland kommen zum Hausbesuch: Pro Behandlungseinheit sind jeweils volle 60 Minuten eingeplant, also viel Zeit zum Therapieren und Gesundwerden. Kontaktieren Sie uns gerne für zeitnahe Termine.

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